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„Neues Leben“
Eine 81-jährige Frau kommt in meine Praxis. Sie
leidet seit zwei Jahren an Demenz. Diese hat sich in
den letzten drei Wochen zunehmend verschlechtert
und zwar derart, dass die Angehörigen glauben, sie
habe nur mehr zwei bis drei Tagen zu leben.
Als die Patientin die Praxis betritt, muss sie am Unterarm gestützt
werden. Sie macht kleine Schritte und bewegt sich sehr langsam. Sie
schaut auf den Boden und die Augen sind halb geschlossen. Als sie sich
hingesetzt hat, spreche ich sie an. Sie sieht mich an, kann aber weder
verstehen noch sprechen. Nach dem EKG verabreiche ich ihr eine
Ampulle k-Strophanthin 1/4 mg intravenös. Ich helfe ihr von der Liege, sie
bückt sich, bindet sich die Schuhe zu, redet und gibt Antworten. Sie kann
sich wieder selbständig und normal bewegen.
Nach einer Woche kommt sie - ohne jegliche weitere Behandlung - zur
Kontrolle in die Praxis. Sie versteht alle Fragen und antwortet flüssig und
entsprechend. Die Demenz hat sich (durch eine einzige Injektion) so weit
gebessert, daß man von einer annähernd normalen und unauffälligen
Alltagskommmunikation mit einem alten Menschen sprechen kann. Für
die Angehörigen ein "Wunder".
Das Problem ist, dass viele demente Patienten kardiologisch nicht
untersucht werden. Und wenn sie untersucht werden, wird keine
Herzinsuffizienz (hier stellvertretend für das strophanthinbedürftige Herz)
diagnostiziert. Und wenn sie diagnostiziert wird, wird sie nicht behandelt.
Und wenn sie behandelt wird, ist der Patient nicht ausreichend versorgt,
weil nicht geprüft wird, ob das Herz strophanthinbedürftig ist (was mit
wenigen Ausnahmen immer der Fall ist).
Die oben beschriebene Patientin wurde vorher nicht kardiologisch
untersucht. Sie hatte ein NT-proBNP von 182 ng/l. Das ist ein Wert, der
den Kardiologen nicht interessiert und keine Behandlung auslöst. Und
eine probatorische Strophanthininjektion wird sowieso nicht durchgeführt.
Das finde ich sehr traurig. Vor allem für die Patienten.
Dr. med. Brandner, Müllheim, Februar 2016
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